30
Neue Geschichte. 1. Periode. Reformation.
Schicksal traf auch verdienterweise Münzer und die andern Volksanführer.
Da wir einmal bei der Erzählung der Uebertreibungen jener Zeiten der Reformation sind, so wollen wir noch von einer berichten, die sich in den Jahren 1534 und 1535 zutrug. Von Münzers Anhängern waren einige entkommen und hatten sich nach Holland gewendet, wo sie auch manche Anhänger bekamen. M Diese Leute kamen auf den Einfall, alle, die zu ihnen gehörten, noch einmal zu laufen, weil die Kindertaufe keine wahre Taufe sei; denn die Kinder verständen ja nichts davon. Auch behaupteten sie, alle, die zu ihrer Kirche gehörten, wären heilig und zur Gründung des Reiches Jesu auf Erden berufen. Einige dieser Wiedertäufer kamen nun nach Westphalen und ließen sich in Münster nieder; der Schneider Johann Bockold (Jan Bockel-sohn) von Leyden, Jan Matthiesen, ein Bäcker von Harlem, der Tuchhändler Knipperdolling, Krechting und andere. Ein Prediger der Stadt, Rottmann, ein unwürdiger Schüler Luthers, schloß sich bald an die Schwärmer an, die immer mehr Anhang unter den Bürgern fanden. Nachdem sie bei Erneuerung des Magistrats durchgesetzt hatten, daß lauter Wiedertäufer zu Magistratspersonen gewählt wurden, erhielten sie die Oberhand und bemächtigten sich des Zeughauses; der Bischof war schon früher weggegangen. Rottmann und Knipperdolling ließen den Leuten auf dem Lande sagen: sie möchten nur zu Hause alles stehen und liegen lassen und nach der Stadt kommen, da sollten sie das zehnfach wiederbekommen; denn sie lehrten, wie Münzer, eine allgemeine Gütergemeinschaft. Die Reichen mußten alles hergeben und verließen je eher je lieber die Stadt, die nun den Armen und den Wiedertäufern allein überlassen blieb. Matthiesen befahl, daß jeder bei Lebensstrafe fein Gold, Silber und übriges Eigenthum in ein bestimmtes Haus bringen sollte; es geschah. Dann wurden alle Bücher, die Bibel ausgenommen, verbrannt, und alle Kirchenbilder, Orgeln, gemalte Fenster, Thurmuhren it. a. zertrümmert.
Indessen rückte der Bischof von Münster mit einem Heere herbei, die Stadt zu belagern. Da erschien der Bäcker Matthiesen auf dem Markte, suchte sich 30 Männer aus und rief: Gott habe ihm geoffenbart, daß er mit diesen Leuten allein das ganze Heer des Bischofs in die Flucht schlagen würde. Wirklich zog der Tollkopf aus, und alle waren neugierig, wie es ihm gehen würde.
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Extrahierte Personennamen: Münzers_Anhängern Schneider_Johann_Bockold Johann Jan_Bockel-sohn Jan_Matthiesen Rottmann Rottmann
54
Neue Geschichte. 1. Periode. Deutschland.
Jugendunterricht von den ersten Elementen bis zu den höchsten Stufen nach einem zusammenhängenden Systeme eingerichtet ward. Bald wußten sie sich aber auch bei den Höfen ausschließlich als Beichtväter und Gewissensberather einzuführen und sich mit be-wnndernswerthem Eifer und Takt auf Politik werfend, beherrschten sie bald als geistliche Beistände und gewandte Staatsmänner alle Cabinette.
Sie waren alles, was man von ihnen verlangte und alles mit gleicher Virtuosität; die ganze Weltgeschichte hat kein Beispiel einer ähnlichen, conseqnenten und geistreichen Verfolgung eines einzigen Zieles an die Seite zu setz-eu.
Später wurde der Orden (1773) durch Papst Clemens Xiv., einen der aufgeklärtesten Päpste, aufgehoben; aber wirklich meinte dieser auch damit sein Todesurtheil unterzeichnet zu haben, und als er bald darauf starb, glaubte man, daß Jesuiten ihn vergiftet hätten. Pius Vii. erneuerte den Orden 1814, und seitdem hat er mit der ihm eigenen Klugheit, Energie und Ausdauer offenbar und im geheimen große Macht und weit verbreiteten Einfluß wiedergewonnen.
90. Lukas Cranach, Albrecht Dürer und Hans Holbein.
Ehe wir in der Geschichte jener Zeit weiter fortfahren, wollen wir bei diesem Kleeblatte berühmter Künstler stehen bleiben. Nicht allein die Wissenschaften hatten damals einen so ungemeinen Fortschritt gemacht, die allgemeine Gähruug der Geister war auch den Künsten förderlich gewesen, und wir sehen zu gleicher Zeit so ausgezeichnete Künstler hervortreten, wie die frühere Zeit sie nicht hatte hervorbringen können. Und diese drei Künstler waren zugleich auch als Menschen ausgezeichnet, ein Umstand, der zwar nicht zu den Ausnahmen gehört, aber doch dem menschlichen Herzen recht wohl thut, wenn man da, wo ein schöpferischer Geist mit kunstgeübter Hand herrliche Werke hervorbrachte, auch zugleich Güte des Herzens und Bildung des Geistes findet. '
Lukas Cranach war 1472 in Cranach, einer kleinen Stadt am Fuße des Fichtelgebirges geboren. Er hieß eigentlich Lukas Sünder, nahm aber, wie damals zuweilen geschah, den Namen seines Geburtsortes an. Sein Vater war Formenschneider und Kartenmaler; von ihm soll er den ersten Unterricht im Zeichnen erhalten haben. Von seinen früheren Lebensschicksalen ist eben so wenig
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Extrahierte Personennamen: Clemens_Xiv. Lukas_Cranach Albrecht_Dürer Albrecht Hans_Holbein Lukas_Cranach Cranach Lukas_Sünder
ßg Neue Geschichte. 1. Periode. Deutschland.
Morus, gab hier seinen Empfehlungsbrief von Erasmus ab und wurde fehr freundlich in des Kanzlers Hans aufgenommen. Hier übte er sich im Englischen, lernte die englischen Sitten, um sich öffentlich mit Anstand zeigen zu können, und malte für seinen freundlichen Hauswirth viele treffliche Stücke. Einst fragte ihn Morus, wie der englische Große geheißen, der ihn zuerst zur Reise nach England aufgemuntert habe? „Ich weiß es nicht," antwortete er; „aber seine Züge sind mir noch gegenwärtig." Und nun malte er sogleich das Bild des Herrn auf eine Tafel mit so treffender Aehnlichkeit, daß Morus sogleich ausrief: „Das ist der Graf Aruudel!"
König Heinrich Viii. pflegte den Kanzler öfters auf seinem Landhause zu besuchen. Einst kam er auch und Morus führte ihn in die Halle, deren Wände mit den Gemälden Holbeins ganz bedeckt waren. Der König, ein Freund der Kunst, erstaunte; etwas so Herrliches hatte er noch nie gesehen. „Lebt der Künstler noch," fragte er, „und ist er für Geld zu haben?" — „Er wohnt bei mir, Sire," antwortete Morus, „und die ganze Sammlung steht Ew. Majestät zu Diensten." — Sogleich wurde Holbein geholt und dem Könige vorgestellt, der ihn in seine Dienste nahm. „Nun ich den Meister habe," sagte der König, „bedarf ich dieser Bilder nicht; er soll mich schon befriedigen."
Nun begann für Hans Holbein ein ganz neues Leben. Der sonst so arme baseler Maler, der froh war, wenn er Häuser und Aushängeschilder zu malen hatte, wohnte nun im königlichen Schlosse, bekam einen bestimmten Gehalt und wurde außerdem noch für jedes Gemälde besonders bezahlt. Er war jetzt ein feiner Weltmann geworden und wurde von allen Großen eifrig gesucht. Obgleich England damals voll von geschickten Malern war, so erkannten doch alle dem Hans Holbein den ersten Rang zu; denn er verschönerte nicht, wie es unsere Maler zu machen pflegen, sondern malte getreu nach der Natur, und zwar mit solcher Klarheit und Genauigkeit, daß man unwillkürlich davon angezogen wird. Von der großen Gunst, in welcher Holbein bei dem Könige stand, ist folgende Geschichte ein Beweis: Eines Tages, als Holbein mit einer geheimen Arbeit für den König beschäftigt war, kam ein englischer Graf und verlangte seine Arbeit zu sehen. Holbein wollte die Thür nicht aufmachen und wies den Lord erst mit guten Worten zurück. Da dieser sich aber dadurch beleidigt fühlte, so kam es bald zu heftigem Wortwechsel, der sich damit endigte, daß der äußerst
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Extrahierte Personennamen: Morus Hans Hauswirth Morus Morus Heinrich_Viii Heinrich Morus Morus Holbein Hans_Holbein Hans_Holbein Holbein Holbein Holbein
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland England England
252
Neue Geschichte. 2. Periode. Frankreich.
sie auch die Bescheidenheit und die Liebenswürdigkeit seiner jungen Frau, welche sich so leicht in ihre unpassende Lage fand und sich so allgemein in Achtung zu setzen wußte, daß ein Höfling einst von ihr sagte, er würde es eher wagen, der Königin eine Unanständigkeit zu sagen als ihr. Ihr Geist bildete sich indessen schnell aus, theils durch Scarrons Gespräche, theils durch das Lesen geistreicher Bücher. Endlich starb Scarron nach einer neunjährigen Ehe. Ein Marquis bot ihr seine Hand an; aber sie kannte ihn als einen albernen Gecken und schlug ihn also aus. Jetzt ging es ihr eine Zeit lang recht ärmlich; sie bat um eine Pension, aber es gelang ihr nicht sie zu erhalten, und sie wollte daher schon nach Portugal als Erzieherin gehen, als Frau von Montespan, eine schöne, aber herrschsüchtige Frau, die damals viel bei Hofe galt, ihr zuredete zu bleiben, und ihr die gewünschte Pension verschaffte. Zugleich erhielt sie einige Pflegekinder des Königs zur Erziehung, weil man sie als eine höchst sittsame und verständige Person kannte. Sie zog sich aber möglichst zurück und es betrübte sie sehr, zu sehen, daß der König sie nicht leiden konnte; denn er hielt sie für eine Heuchlerin. Zuweilen mußte sie über die Erziehung ihrer Pflegebefohlenen an den König schreiben, und ihre Briefe waren so schön und voll guter Gedanken, daß Ludwig immer mehr für sie eingenommen wurde. Oft ließ er den kleinen Prinzen zu sich kommen und freute sich über seine verständigen Antworten. „Du bist ein recht vernünftiges Kind," sagte er ihm einmal. „Das muß ich wohl sein," antwortete der Knabe schnell; „ich habe ja eine Gouvernante, die der Verstand selbst ist." — Das freute den König. „Geh!" sprach er, „und sage ihr, daß du ihr 100,000 Francs (25,000 Thaler) für deine Zuckerplätzchen gäbest!" — Für dieses Geld kaufte sie sich die Herrschaft Maiutenon, von der sie nun den Namen annahm. Je öfter der König mit ihr zusammenkam, desto lieber' gewann er sie. Sie war weder schön noch jung, Eigenschaften, die ohne Vorzüge des Geistes und der Bildung nie auf die Länge andere fesseln können; aber ihre Unterhaltung war so verständig, daß der König ihr stundenlang mit Vergnügen zuhörte. Je mehr ihm sein Gewissen jetzt bei herannahendem Alter wegen seiner früheren Vergehungen Vorwürfe machte, desto mehr sehnte er sich nach jemand, gegen den er seine Sorgen und Gewissensbisse ausschütten und von dem er beruhigt werden könnte. Madame von Maintenon war gerade eine solche Frau, wie er sie suchte. Sie wußte ihm so viele religiöse Trostgründe zu sagen, daß er von ihr
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Extrahierte Personennamen: von_Montespan Ludwig Ludwig Maintenon
Johann Calvin.
75
innern. Johann Calvin war 1509 in Noyon in Frankreich geboren. Sein Vater, ein angesehener Mann, erzog ihn mit äußerster Strenge und bildete wohl dadurch den Eigensinn und die Härte des Gemüths aus, die wir nachher bei ihm wahrnehmen. Seine innige Religiosität verdankte er vorzüglich seiner frommen Mutter, die ihn schon als kleines Kind zu ihm, dem Unsichtbaren hinleitete. Schon auf der Schule zeichnete et sich durch Fleiß und Kenntnisse aus, und er war erst 18 Jahr alt, als er schon eine Pfarrstelle erhielt. Wie die andern Reformatoren, so wurde auch er durch die Kenntniß der Bibel zum evangelischen Glauben geführt. Nachdem er in ihr aufmerksam gelesen und von der Lehre Zwingli's viel gehört hatte, fing er an zu zweifeln, ob es wohl mit den Lehren der römischen Kirche seine Richtigkeit habe. Anfangs wurde es ihm schwer, sich von den Vorurtheileu, die ihm der Jugendunterricht beigebracht hatte, loszumachen. Endlich überzeugte er sich von ihrer Falschheit, und nun ergriff er die neue, oder vielmehr altchriftliche Lehre mit der ganzen Kraft der innigsten Ueberzeugung. Seine Gewissenhaftigkeit erlaubte ihm nun nicht länger, seine Psarrstelle zu behalten; er legte sie nieder und ergriff das Studium der Rechte. So große Fortschritte er darin auch machte, weil er alles, was er trieb, mit Verstand und Eifer anfing, so zog ihn doch bald der Gedanke, die aus der Bibel geschöpften Wahrheiten des Evangeliums unter den bisher durch das Papstthum verblendeten Menschen zu verbreiten, noch mehr an. Er predigte und fand ausnehmenden Beifall. Das trieb ihn noch mehr an, seinen Entschluß auszuführen, und nun trat er ganz zu der Lehre Zwingli's, die in Frankreich schon viele Verehrer gefunden hatte, über. Da aber der König von Frankreich, Franz I., die Evangelischen verfolgte, so sah sich auch Calvin genöthigt, das Reich zu verlassen. Er wandte sich nach Basel, und als er auf seiner Reise in Genf bewogen wurde, zu predigen, fand er so ungeheuern Beifall, daß man ihn nicht mehr wegließ, und er eine Predigerstelle annehmen mußte. Mit der größten Thätigkeit nahm er sich nun hier seiner Kirche an; aber seine Herrschsucht und Rechthaberei zog ihm viele Feinde zu, so daß noch keine zwei Jahre vergangen waren, als der Magistrat ihn schon aus der Stadt wies. Kaum hörte man davon in Straßburg, als man den nun schon berühmten Mann als Professor und Prediger berief. Hier heirathete er auch, blieb aber nur drei Jahre da; denn in Genf hatte sich indessen die Stimmung geändert: seine Freunde im Magistrat hatten die Oberhand gewonnen und baten
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Extrahierte Personennamen: Johann_Calvin Johann Johann_Calvin Johann Franz_I. Franz_I. Calvin
Extrahierte Ortsnamen: Noyon Frankreich Frankreich Frankreich Basel Genf Straßburg Genf
Calvins Tod.
77
Wie unterschied sich aber die Lehre Luthers von der des Zwingli und des Calvin?
Alle drei stimmten darin überein, daß kein menschliches Ansehen in Sachen der Religion, sondern allein die heilige Schrift entscheiden könne. Nur darin wichen sie ab, daß Luther sich an die Worte der Bibel buchstäblich hielt, Zwingli dagegen dieselben nach der Vernunft erklärte. Ferner ließ Luther viele äußere Gebräuche und Verzierungen der Gotteshäuser stehen; Zwingli dagegen schaffte alles Alte ab und duldete in den Kirchen keine Bilder, keine Altäre, kein Musik. Luther setzte fest, daß unter den Geistlichen einige die Vorgesetzten der andern feien, Zwingli verlangte eine völlige Gleichheit unter ihnen. Alle drei erkannten, daß die Obrigkeit in Sachen des Gottesdienstes eine Stimme habe, aber nicht in Gegenständen des Glaubens. Zwingli räumte ihr eine größere Gewalt ein als Luther und Calvin. Die Ansicht Luthers und Zwingli's vom Abendmahle ist schon erwähnt worden. Calvin ging von beiden darin ab, daß er meinte, Wein und Brot wären beim Abendmahle nicht bloße Zeichen des Blutes und Leibes Jesu, sondern die Gläubigen genössen den Leib und das Blut Jesu auf eine geistige Weise wirklich. — Auch hatte er eine eigene Ansicht von der sogenannten Gnadenwahl. „Der Mensch," sagte er, „kann vermöge der Erbsünde durchaus nichts Gutes wollen. Darum kann keiner selig werden als der, welchen Gott durch seine Gnade zu sich zieht. Dies findet aber nur bei einigen Menschen statt. Die guten Menschen sind von Gott zur Seligkeit, die bösen zur Ver-dammniß bestimmt, ohne daß wir wissen, warum er gerade diese oder jene auserwählt habe. Diese Gnade Gottes ist ganz frei und nimmt auf die Handlungen der Menschen gar keine Rücksicht."
Die Kirche, welche nun Zwingli und Calvin durch ihre Lehre gründeten, wurde die reformirte genannt und fand vorzüglich in der Schweiz, in den Niederlanden, in Schottland, in einem Theile von Deutschland und auch in Frankreich Eingang, so grausam auch König Franz die Hugenotten, wie man hier die Reformisten nannte, verfolgte. *)
*) Ueber den Ursprung des Namens curfiren verschiedene Ansichten. Die ersten Versammlungen der Calvinisten in Frankreich konnten nur des Nachts stattfinden und da dann dem Volksglauben zufolge der Geist des Königs Hugo nächtlich umging, sollen die nächtlichen Genossen nach ihm benannt worden sein. Wahrscheinlicher aber ist der Name auf die schweizerischen Eidgenossen „Eignots" zu beziehen, mit welchen die französischen Calvinisten ursprünglich zusammenhingen.
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Extrahierte Personennamen: Calvins Zwingli Zwingli Zwingli Franz Franz Hugo
Extrahierte Ortsnamen: Calvin Luthers Jesu Schweiz Niederlanden Schottland Deutschland Frankreich Frankreich
260 Neue Geschichte. 2. Periode. Spanischer Erbfolgekrieg.
Man hat oft behauptet, daß Mädchenfreundschaft sehr veränderlich sei; die Königin Anna — denn seit 1702 war sie an Wilhelms Stelle Königin geworden — und die Herzogin von Marl-borough haben ein Beispiel davon gegeben. Die letztere hatte sich seit einiger Zeit in die Regierungsangelegenheiten gemischt und mit der Königin oft in einem Tone gesprochen, der sehr vermessen war, dennoch aber von der Königin mit großer Demuth und Freundlichkeit ausgenommen wurde. Ost hatte die Herzogin die Empfindliche gespielt, hatte sich bei Hofe selten sehen lassen und statt ihrer ein armes, ihr verwandtes Fräulein, Abigail (Aebbigehl) Hill, eingeführt, um die Königin zu unterhalten, indem sie glaubte, jene würde nie vergessen, daß sie ihr allein diese Versorgung verdanke. Allein die Hill, die bald darauf einen Herrn Masham (sprich Meschäm) heirathete, war undankbar genug, die Herzogin aus der Gunst der Königin zu verdrängen. Eine heftige Scene, in welcher die Herzogin ihr in Gegenwart der Königin ihre Undankbarkeit vorwarf, trug nicht dazu bei, Anna mit ihr auszusöhnen. Kaum wurde bei Hofe dies Mißverständniß bemerkt, als alle, die bisher dem Hause Marlborough seinen großen Einfluß beneidet hatten, sich vereinigten, die Königin noch mehr gegen die Herzogin einzunehmen. Jedes ihrer Worte wurde übel gedeutet, und wenn sie mit Annex zusammenkam, war die Unterhaltung geschraubt, und beide waren froh, wenn sie beendigt war. Marlboroughs Herz litt dabei unbeschreiblich, da er seine Frau so unaussprechlich liebte, und alle Triumphe, die er im Felde über die Franzosen erfocht, konnten ihn für den Verlust des inneren Friedens nicht entschädigen. Er sehnte sich nach einem ruhigen, ungestörten Familienleben. Die Herzogin kam nur noch selten nach Hofe; ihr Briefwechsel dauerte zwar fort, aber in einem beißenden spöttischen Tone. Die Empfindlichkeit der Königin wurde von der schlauen Masham zu wüthendem Hasse angeblasen. Vergebens suchte sich die Herzogin mit der Königin zu verständigen; der Versuch fiel so übel aus, daß es zum völligen Bruche kam. Nach einem sehr heftigen Wortwechsel kamen sie persönlich nicht wieder zusammen, und auch der schriftliche Umgang hörte bald ganz auf. Wie vielen Kummer hätte die Herzogin sich und ihrem Gatten ersparen können, wäre sie nicht so herrschsüchtig gewesen und hätte sie sich nicht in Dinge gemischt, die nicht zum Wirkungskreise äner Frau gehören!
Seit Jacobs Ii. Regierung gab es, wie wir schon bemerkt haben, in England zwei Parteien: die Tories und die Whigs.
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Extrahierte Personennamen: Anna_— Wilhelms Wilhelms Demuth Anna Marlborough
100
Neue Geschichte. 1. Periode. England.
duldete nicht nur, sondern sah es gern, daß ihre Hofleute ihr die unsinnigsten Schmeicheleien sagten. An Elisabeth sieht man ein trauriges Beispiel, wie bei großer Klugheit doch große Thorheit wohnen könne. Diese unglückliche Eitelkeit war es auch, welche vorzüglich den Haß gegen Maria Stuart erzeugte und Elisabeth zur unversöhnlichen Feindin der hülsesuchenden Königin machte.
Was von Johanna Gray gerühmt ist, kann auch von Elisabeth gerühmt werden; sie besaß ausgezeichnete Kenntnisse, ohne andern damit lästig zu werden, und einen sehr gebildeten Verstand. Während ihrer ländlichen Einsamkeit hatte sie den Wissenschaften mit großem Eifer obgelegen. — Ihre erste Handlung nach ihrer Thronbesteigung war, daß sie die evangelische Lehre einführte; nur behielt sie mehr Ceremonien und die bischöfliche Verfassung bei. Sie verlangte die Annahme von 39 Artikeln, die in einzelnen Stücken von der lutherischen und resormirten Lehre abwichen. Aber auch hier verfuhr sie als kluge Frau. Nur langsam und nach und nach wurden die unter Maria wieder eingeführten katholischen Gebräuche abgeschafft. Keine solche Gräuelscenen, wie unter Heinrich Viii. und Maria, kamen dabei vor; doch ließ sie diejenigen, welche ihre Befehle nicht befolgen und die von ihr eingeführte bischöfliche (oder hohe) Kirche stürzen wollten, streng bestrasen. Besonders betraf dies die Puritaner (auch Presbyterianer genannt), welche nicht nur alle Ceremonien, Bilder, Kreuze, Altäre, Orgeln u. s. w. verwarfen, sondern auch die Oberaufsicht der Regierung über die Kirche (Suprematie) nicht anerkennen wollten.
Elisabeth hat sich nie vermählt. Ob sie gleich gern sich mit Männern unterhielt, schien sie einen Widerwillen gegen jede Art von Gebundenheit zu haben, vielleicht eine Folge der Unterdrückung, in welcher sie srüherhin gelebt hatte. Jederzeit hatte sie einen oder mehrere Günstlinge; aber zu einer bleibenden Neigung konnte sie sich nie entschließen, so viele einheimische Große und fremde Könige und Königssöhne auch um sie warben. Selbst Philipp Ii. war unter ihren Bewerbern und konnte gar nicht begreifen, wie es möglich sei, seine Hand zurückzuweisen.
Einen großen Einfluß auf ihr ganzes Leben hat die unglückliche Feindschaft gegen Maria Stuart gehabt. Dieser Name
nicht in der Natur, doch auf ihren Bildnissen kleiner gemacht haben wollte. O über die Eitelkeit der großen Frau!
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Extrahierte Personennamen: Maria_Stuart Maria Johanna_Gray Elisabeth Maria Maria Heinrich_Viii Heinrich Maria Maria Philipp_Ii Philipp Maria_Stuart Maria
104
Neue Geschichte. 1. Periode. England.
zwuugeues Wesen für Eitelkeit gescholten, und in dieser Strenge, mit der man sie beurtheilte, mag wohl zum Theil der Grund ihrer nachmaligen Vergehungen liegen. Indessen versah sie es allerdings darin, daß sie auf die Sittenstrenge der Schotten zu wenig Rücksicht nahm und manches that, was Anstoß gab. So lebte sie zuweilen wochenlang mit ihren Frauen in einem einfachen Bürgerhause ganz als Bürgerin, um sich von allen Geschäften und allem Zwange loszumachen. In ihrer hulflosen Lage mußte bei ihr der Wunsch rege werden, sich mit Elisabeth auszusöhnen, damit sie im schlimmsten Falle an ihr einen Rückhalt gegen ihre Feinde hätte. Sie ließ daher Elisabeth begrüßen und sie bitten, sie doch als nächste Verwandte zur Nachfolgerin zu erkennen; gern wollte sie dagegen allen gegenwärtigen Ansprüchen entsagen. Aber Elisabeth traute der Aufrichtigkeit Maria's nicht und gab ihr eine abweisende Antwort. Doch versöhnten sie sich wenigstens zum Scheine und wechselten seit dieser Zeit Briefe, so daß es schien, als wären sie Freundinnen geworden. Aber immer blieb Elisabeth in einer ängstlichen Spannung; denn der Gedanke an die Möglichkeit, daß Maria sich mit einem auswärtigen Fürsten vermählen könnte, ließ ihr keine Ruhe. Endlich rückte sie daher mit dem Vorschlage heraus: wenn Maria sich entschließen könne, den Robert Dndley, Grafen von Leicester (sprich Lester), einen Bruder des unglücklichen Guilford, zu heiratheu, so sei sie bereit, sie als Thronerbin anzuerkennen. Dieser Leicester war damals Elisabeths Günstling, und Elisabeth mochte theils durch diesen Vorschlag ihrem Liebling ein Glück bereiten wollen, theils hoffen, auf diese Weise sich vor Maria's Ränken sicher zu stellen. Indessen wurde sie bald auderu Sinnes, und als Maria sich zu der Verbindung bereit erklärte, machte Elisabeth Ausflüchte, und Maria war über dies doppelzüngige Benehmen nicht wenig verlegen. Nicht viel fehlte, so wäre es zu einem Bruche gekommen; um ihn zu verhüten, sandte Maria den Sir Jacob Melvil Nach London.
Dies war ein munterer, gewandter Hofmann, und seine Königin hatte ihm befohlen, sich durch unterhaltende Gespräche in das Vertrauen der Elisabeth zu stehlen. Das gelang ihm denn auch so ganz, daß diese ihre Schwächen, besonders ihre große Eitelkeit, ihm ganz offen darlegte. Einmal erzählte ihr Melvil von seinen Reisen und den Trachten der Weiber in verschiedenen Ländern, welche Vorzüge jede hätte und durch welche die Schönheit und Gestalt besonders gehoben würde. Elisabeth hörte aufmerksam
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Extrahierte Personennamen: Elisabeth Maria Maria Maria Maria Robert_Dndley Lester) Elisabeths_Günstling Maria Maria Elisabeth_Ausflüchte Maria Maria Maria Maria Jacob_Melvil Hofmann Elisabeth
Elisabeth. Maria Stuart. Melvil. Darnley. 105
zu und sagte endlich: sie hätte Anzüge aus allen Ländern. An dem folgenden Tage erschien sie bald in dieser, bald in jener ausländischen Tracht, und endlich fragte sie den Gesandten geradezu, in welchem Anzuge sie sich am besten ausnehme? „Im italienischen," antwortete der schlaue Hosmaun; denn er wußte, daß sie diesem vor allen den Vorzug gab, weil sie darin ihre fliegenden Locken zeigen konnte; und sie war auf ihre blonden, oder eigentlich röth-lichen Haare vorzüglich eitel. Nun legte sie ihm eine Menge Fragen vor: Welches ihm die beste Farbe von Haaren schiene? Ob die Haare seiner Königin oder die ihrigen schöner wären? Endlich fragte sie ihn sogar, welche von beiden überhaupt die Schönste wäre? Melvil lachte innerlich über diese Eitelkeit. Schnell faßte er sich aber und antwortete sehr klug: „Jhro Majestät sind die Schönste in England, und meine Königin in Schottland." Ferner fragte sie, welche von ihnen ant größten wäre? — „ Meine Königin," antwortete Melvil. — „O!" erwiederte Elisabeth, „dann ist sie zu groß; denn ich habe gerade die beste Größe." Da sie von ihm gehört hatte, daß Maria manchmal die Laute'spielte, auf welcher Elisabeth Meisterin zu sein glaubte, so befahl sie eines Tages einem ihrer Höflinge, er solle den Gesandten wie zufällig in ein Zimmer führen, wo er sie hören könnte. Melvil merkte die Absicht, und, seinem angenommenen Charakter treu, stürzte er, wie entzückt von den süßen Tönen, in das Zimmer der Königin, die sich zwar anfänglich unwillig stellte, aber doch nachher fragte, ob er sie ober Maria für eine größere Meisterin halte. Daß Melvil ihr den Vorzug gab, versteht sich von selbst; ttttb als er nach Schottland zurückkehrte, konnte er seiner Königin versichern, daß Elisabeth es nie mit ihr gut meinen würde uttb daß alle ihre Freunbschaftsversicherungen. nichts als Falschheit und Verstellung wären.
Bald sctnb sich auch eine Gelegenheit, die Wahrheit biefer Behauptung zu erfahren. Elisabeth schlug Maria vor, den Sohn des Grasen Lenox, Heinrich Darnley (sprich Därnli) zu hei-rathen. Lenox, von Geburt ein Schotte und ein Verwandter des Hauses Stuart, hatte seit lange in England gewohnt, wo auch fein Sohn geboren war. Das Alter und der Abel seiner Familie und der Wunsch der Elisabeth empfahlen bett Darnley vorzüglich, obgleich die Schotten, weil er katholisch war, die Verbinbnng nicht wünschten. Darnley war jetzt in feinem 20. Jahre, schön von Wuchs und Gesicht und von einnehntenbetn Betragen, so daß
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